Kurator42: Der Newsletter #01/24
+++ Mrs. Davis +++ Otherworld +++ 55 Mio. Dollar +++ 9/11 +++ Mrs. Columbo +++ uvm. +++
Film-, Serien und Schautipps
Schwester Simone lebt und arbeitet in einem abgelegenen Kloster in Nevada, wo sie hin und wieder fiese Zauberer bekämpft. Ansonsten versucht die Nonne "es" aus dem Weg zu gehen. "Es" ist eine Künstliche Intelligenz, die zwischenzeitlich die Welt übernommen hat. Nicht mit Gewalt und Kampfrobotern, sondern mit Fürsorglichkeit und gutem Marketing. Die meisten Menschen nennen den Computer einfach Mrs. Davis und erhalten von ihm kleine Aufträge, um die Welt etwas besser zu machen. Simone hält Mrs. Davis jedoch für das Böse und nimmt lieber Aufträge von Jesus an – wortwörtlich.
Der größte Wunsch der Nonne: die KI vernichten. Bald erhält Simone tatsächlich die Möglichkeit, die KI auszuschalten – von der KI selbst. Diese ist gerne bereit sich zu zerstören, wenn Simone ihr den Heiligen Gral bringt. Nichts leichter als das, oder? Ja, Mrs. Davis klingt ziemlich albern und ist es über weite Strecken auch. Aber die Serie ist auch ungemein clever, führt scheinbar unvereinbare Story-Fäden zusammen, verbindet all das mit subtiler Technologie- und Religionskritik und überrascht mit kreativen Szenen und abgefahrenen Kulissen. Schaut rein!
Mrs. Davis ist auf Amazon Prime Video verfügbar.
How to Catch a Monster – oder eigentlich: Digging Up the Marrow – ist ein absoluter Geheimtipp! Der Dokumentarfilmer Adam Green möchte darin einen Film über Horrorkunst drehen, jedoch trifft er auf einen Polizisten im Ruhestand, der behauptet, dass Monster echt sind. Es gäbe einen Zugang zu einer Unterwelt, in der all die Albtraumkreaturen leben. Green hält das für Humbug, aber immerhin spannenden Humbug. Als ihm dann wirklich einige bizarre Aufnahmen gelingen, ist er überzeugt, dass der Ex-Polizist ihm einen Streich spielt – bis er den Wesen face to face gegenübersteht.
Der bereits 2014 veröffentlichte Film ist teilweise ein Found-Footage-Experiment, teilweise eine Mockumentary. Denn der Regisseur Adam Green – bekannt für die Hatchet-Filme – ist gleichzeitig der Protagonist. Gedreht wurde der Streifen über fast vier Jahre zwischen anderen Projekten von Green. Dabei kam es zu einigen tragischen Vorfällen. Unter anderem verstarb einer von Greens Freunden, der eine Rolle im Film übernehmen sollte. Wer etwas für das Genre und filmische Experimente übrig hat, sollte dem Streifen auf jeden Fall eine Chance geben.
How To Catch A Monster ist auf Amazon Prime Video verfügbar.
Während ihrer Schulzeit wird Moon Dong-eun von ihren Mitschülern grausam gemobbt und misshandelt. Sie wird beschimpft, bestohlen und mit einem Glätteisen verbrannt. Es bleiben sichtbare wie unsichtbare Narben. Hilfe bekommt sie nicht. Denn Moon kommt aus armen Verhältnissen. Ihre Peiniger dagegen haben wohlhabende Eltern mit guten Beziehungen. Als die Schulzeit und damit die Qualen endlich vorbei sind, will Moon ihre Peiniger nicht so einfach davonkommen lassen. Fast 20 Jahre lang plant sie ihre Rache – und setzt ihren Plan in die Tat um.
Die Serie The Glory hat mich wirklich überrascht. Im Gegensatz zu vielen anderen koreanischen Netflix-Produktionen ist sie erstaunlich bodenständig, ziemlich mutig und manchmal sogar verstörend drastisch – zuvorderst, was die Inszenierung des Mobbings angeht. Vor allem aber ist The Glory fesselnd, intelligent erzählt und schafft glaubwürdige Charaktere, die man liebt und hasst. Für mich ist The Glory eine der besten Serien des vergangenen Jahres.
The Glory ist auf Netflix verfügbar.
Podcast-Tipps
Das Yale Fertility Center ist eine Kinderwunschklinik – und für viele Frauen die große Chance auf eine Schwangerschaft. Aber bei vielen Patientinnen war der Prozess äußerst schmerzhaft, bei dem Eizellen zur Befruchtung im Reagenzglas entnommen werden. Ärzte und Schwestern rätselten: Es konnte eigentlich nicht sein. Denn die Patientinnen sollten starke Schmerzmittel bekommen, die die Prozedur zur Routine machen. In The Retrievals forscht Susan Burton nach und arbeitet einen vielschichtigen Skandal auf.
Ich liebe Horror und Grusel. Daher frage ich mich, warum ich erst jetzt auf Otherworld gestoßen bin. In seinem Podcast spricht der Medienmacher Jack Wagner mit Menschen, die merkwürdige Erfahrungen hatten – also Geister, UFOs und unerklärliche Wesen gesehen haben. Wagner nimmt sie ernst, lässt sie oft frei reden und erzählen. Die Geschichten klingen ehrlich und überzeugend. Aber Wagner ist nicht vollkommen blauäugig, sondern forscht auch nach. Er recherchiert in Archiven, sucht nach Experten und spricht auch mit Freunden und Familienangehörigen seiner Interviewpartner. Selbst wenn man all die Geschichten für Blödsinn hält, ist das äußerst unterhaltsam.
Ich wusste lange Zeit nicht, wer Kanye West ist. Oder genauer gesagt: Ich wusste, dass es ihn gibt, aber hatte keine Ahnung, welchen kulturellen Einfluss er in der Musik- und Modewelt hat(te). Erst als er mit seinen positiven Äußerungen über Donald Trump auffiel, habe ich mich etwas mit ihm beschäftigt. Und dann als er sich 2022 mit antisemitischen Ausfällen bloßstellte und es zum Bruch zwischen ihm und Adidas kam. Und genau da stellt sich die Frage: Wusste Adidas schon vorher von den bizarren Überzeugungen von Kanye West? Hat das Unternehmen bewusst Hunderte Millionen auf einen Künstler gesetzt, der sich hinter den Kulissen als psychisch instabil und radikal zeigte? Das versuchte die NYT-Reporterin Megan Twohey herauszufinden.
Artikel-Lesetipps
The Strange $55 Million Saga of a Netflix Series You’ll Never See
Der Wikipedia-Eintrag zu Carl Rinsch ist kurz. Er ist in Los Angeles geboren und aufgewachsen, interessierte sich früh für das Filmemachen und sorgte 2010 mit seinem Kurzfilm The Gift für einiges Aufsehen. Zeitweise wurde er als möglicher Regisseur für das Alien-Prequel Prometheus oder ein Remake von Logan's Run gehandelt. Stattdessen bekam er die Chance, das japanische Epos 47 Rōnin zu verfilmen – mit Keanu Reeves in der Hauptrolle. Der Film sprengte das Budget, wurde von der Kritik verrissen und floppte an den Kinokassen. Das warf den Regisseur ziemlich zurück. Doch Rinsch bekam eine neue Chance. Denn viele, wie etwa Ridley Scott, bescheinigten ihm trotz allem Talent.
2018 verpflichtete Netflix den Regisseur nach einem Bieterkrieg für eine Science-Fiction-Serie, die Rinsch ausgearbeitet hatte. Conquest soll von einer Spezies künstlicher Menschen und ihrem Schicksal im All handeln; ein Epos im Stile von Foundation soll es sein. 55 Millionen Dollar investierte der Streaming-Gigant und ließ Rinsch nahezu unbegrenzte Freiheit bei der Umsetzung. Er begann zu drehen, verlor aber das Geld und schien in eine Fantasiewelt abzudriften. Er glaubte, dass ein Anschlag auf ihn geplant sei und schrie Schauspieler und Crew an. Er begann, das Geld in Aktienwetten und Kryptowährungen zu investieren – hatte damit teilweise Erfolg. Er kaufte sich Autos, Designerklamotten und eine 390.000-Dollar-Uhr. Es ist eine unglaubliche Geschichte, die die New York Times hier aufgeschrieben hat.
Mr. Rinsch responded in a deposition that the cars and furniture were props for “Conquest” and that he had paid for them with Netflix’s production money. But in his arbitration case with Netflix, he took a different position: In confidential filings reviewed by The Times, he argued that the money was contractually his and that Netflix owed him several more payments totaling more than $14 million.
Weizenbaum’s nightmares: how the inventor of the first chatbot turned against AI
Joseph Weizenbaum hat im Jahr 1966 den ersten Chatbot entwickelt. ELIZA ist, verglichen mit ChatGPT oder Claude, geradezu erschreckend simpel. Dennoch wird es als Vorreiter heutiger KI-Systeme betrachtet – und Weizenbaum entsprechend als Pionier gefeiert. Aber der in Berlin geborene und lange Zeit in den USA lebende Informatiker war alles andere als ein Freund der Künstlichen Intelligenz, wie Ben Tarnoff in seinem Portrait des Wissenschaftlers ausführt.
In the spring of 1977, the controversy spilled on to the front page of the New York Times. “Can machines think? Should they? The computer world is in the midst of a fundamental dispute over those questions,” wrote the journalist Lee Dembart. Weizenbaum gave an interview from his MIT office: “I have pronounced heresy and I am a heretic.”
A Star Reporter’s Break With Reality
Lara Logan war eine ambitionierte Journalistin. Sie berichtete vom Krieg in Afghanistan, von den Kundgebungen auf dem Tahrir-Platz, war als Korrespondentin für 60 Minutes unterwegs und sorgte mit Nachdruck dafür, dass ihr Material gesendet wurde. Doch dann passierte etwas. Als die Corona-Krise ihren Lauf nahm, begann sie Verschwörungstheorien zu verbreiten – über den Ursprung von Covid-19, AIDS und später zur Invasion der Ukraine. Elaina Plott Calabro analysiert in ihrem Artikel A Star Reporter's Break With Reality den Sturz der Reporterin und versucht mit einem empathischen Blick herauszufinden, was mit Lara passiert ist und warum.
When Naomi Klein Realized People Regularly Confused Her With Naomi Wolf, She Went Down a Rabbit Hole
Wie wäre es wohl, wenn man einen Doppelgänger hätte? Einer, der jedoch das genaue Gegenteil von einem selbst darstellt; der für andere Meinungen und Weltanschauungen steht. Naomi Klein weiß das. Denn sie hat eine Doppelgängerin – irgendwie jedenfalls. Denn immer wieder wird die Journalistin und Aktivistin mit Naomi Wolf verwechselt, einer Autorin, die regelmäßig für das Verbreiten von Falschinformationen und Verschwörungstheorien kritisiert wird. Das färbt auf sie ab. Daher hat Klein ein ganzes Buch darüber geschrieben, das man hier anlesen kann.
After the bathroom incident, though, I started paying closer attention to what Wolf was doing, newly aware that some of it was blowing back on me. How often does this identity merger happen? Enough that there is a viral poem, first posted in October 2019, that has been shared many thousands of times:
Wer darf Micky und Minnie Maus kopieren?
Mit Beginn des neuen Jahres wird Mickey Mouse gemeinfrei. Zumindest eine Version der berühmten Maus. Nämlich die, die vor 95 Jahren zum ersten Mal in Steamboat Willie zu sehen war. Aber ... was das genau bedeutet und wer die Maus jetzt wie nutzen darf, ist gar nicht so klar, wie Der Tagesspiegel berichtet und wie das Center for the Study of Public Domain der Duke University erklärt. Ach ja, und nicht nur Micky wird gemeinfrei, sondern auch Tigger aus Winnie the Pooh, Virginia Woolfs Orlando und einiges mehr.
Kram aus dem Netz
Der EV1
Der General Motors EV1 war das erste in Großserie produzierte Elektroauto. Ab 1996 war es auf den Straßen zu sehen. Allerdings war es nicht käuflich, sondern nur zum Leasing verfügbar. Aber das störte nur wenige. Zumindest bis die Fahrzeuge abrupt von General Motors zurückgerufen wurden. Alle Exemplare des EV1 sollten plötzlich verschrottet werden. Angeblich musste die Herstellung von Teilen eingestellt werden, weil die Nachfrage zu gering war und somit die langfristige Wartung und Sicherheit nicht sichergestellt werden konnten. Kritiker des Rückrufs vermuteten hingegen eine gezielte Eigensabotage auf Druck der Öl-Lobby.
Heute sind nur noch wenige EV1 erhalten. Das Auto ist daher heute kaum noch zu bestaunen. Dabei war es erstaunlich für seine Zeit. Immerhin haben einige EV1-Fahrer versucht, ihr Elektroauto zu dokumentieren. Wie etwa Darell Dickey, der eine Woche vor der Verschrottung eine letzte Fahrt mit seinem Auto festhielt.
Wie hoch ist eigentlich wie hoch?
Stünden sie Seite an Seite, wären die Petronas Towers ein ganzes Stück kleiner als der Sears Tower. Dennoch sind sie offiziell höher. Aber wie kann das sein? Das liegt daran, wie die Höhe von Wolkenkratzern gemessen wird – beziehungsweise, was in die Höhe einberechnet werden kann und was nicht. Und das hat sich Stewart Hicks mal von dem Menschen erklären lassen, der darüber mitbestimmt, welche Gebäude als „hoch“ betrachtet werden.
Total super, Dom
Die The-Fast-And-The-Furious-Reihe ist drüber. Sie ist spektakulär, albern, aber auch ziemlich unterhaltsam. Aber vor allem: Sie hat heute nur noch sehr wenig mit dem zu tun, was sie einst war. Ebenso wie ihre Figuren. Insbesondere der Vin-Diesel-Charakter Dominic Toretto ist mittlerweile zu einem scheinbar unzerstörbaren Superhelden mutiert. Aber wie kam es soweit und wann?
Automobile Zeitkapsel
In Ingolstadt gab es in den 1980er Jahren einen Ford-Händler. Doch 1984 gab der Eigentümer Josef Stock das Autohaus auf. Und zwar einfach so: Er beließ alles wie es war, schloss das Autohaus ab und... nun ja, seitdem existierte das Autohaus als obskure Zeitkapsel. Seine Witwe verkaufte ein Jahrzehnt später einige der Youngtimer. Aber einige behielt sie in den Ausstellungsräumen, wo sie auch im Jahr 2023 noch zu sehen sind.
Der Calhoun Shot
Don Calhoun war 23 Jahre alt, als er während einer Auszeit in einem Basketballspiel zwischen den Chicago Bulls und den Miami Heat den Ball warf. 75 Fuß, knapp 23 Meter, war der Korb entfernt: ein 3/4 Court Shot. Und Calhoun traf! Die Zuschauer brachen in frenetischen Jubel aus. Und die Profispieler auch. Denn es war nicht nur ein grandioser Wurf. Für den Treffer war Calhoun eine Million Dollar versprochen worden. Doch die zu bekommen, war für den jungen Basketballfan gar nicht so einfach. Denn zahlen wollte die Summe niemand.
8.145 Tage
Laut South Park dauert es exakt 8.145 Tage oder 22,3 Jahre, bis eine Tragödie lustig wird. Das wurde in der Folge Jared hat AIDS so „festgelegt“. Laut dieser Rechnung wären die Terroranschläge vom 11. September 2001 seit der Nacht des 29. Dezember des letzten Jahres zum Abschuss freigegeben.
Wusstet ihr, dass…
… es ein Spin-off von Columbo gibt? Mrs. Columbo dreht sich – oh, überraschend – um Columbos Ehefrau, die in der Originalserie immer nur erwähnt wird, aber nie zu sehen ist. In der Serie heißt sie Kate, arbeitet als Reporterin und löst nebenbei Kriminalfälle. Gespielt wurde sie von der jungen Kate Mulgrew, der späteren Captain Janeway aus Star Trek Voyager. Die Krimiserie war nicht wirklich gut, erreichte jedoch immerhin zwei Staffeln. Für die zweite Staffel wurde der Titel in Kate the Detective und dann in Kate Loves a Mystery umbenannt und die Verbindung zu Columbo gekappt. Dafür bekam Kate den neuen Nachnamen Callahan und einen Ehemann namens Philip.
… oh, und Happy New Year!