Kurator42: Der Newsletter #03/21
Kunstfälschungen +++ Japans Dächer +++ Fischfürze +++ Robo-Hunde +++
Film-, Serien und Schautipps
Made You Look
Eine Frau kommt 1994 in eine der meist respektierten Kunstgalerien in New York. In der Hand hält sie, eingepackt in Papier und Pappe, ein Gemälde: es ist ein Werk von Mark Rothko. Eine Sensation. Die Leiterin der Galerie ist begeistert. Insbesondere da ihr die zurückhaltende Frau immer mehr Sensationsfunde anschleppt. Die verwandeln den eh schon von neureichen Börsenhändlern mit zu viel Geld überdrehenden Kunstmarkt in einen wahren Zirkus – der dann nach sieben Jahren implodiert. Denn die 60 Sensationsfunde, die für Tausende und Millionen US-Dollar verkauft und versteigert worden waren, sind dreiste Fälschungen. Gemalt von einem unbekannten chinesischen Künstler.
Made You Look: A True Story About Fake Art von Barry Avrich arbeitet die unglaubliche Geschichte auf und versucht herauszufinden, wie es dazu kommen konnte, dass keiner die Fälschungen erkannte – oder erkennen wollte. Wer da gerade ein Dé jà-vu erlebt: Das kommt nicht von ungefähr. Die Geschichte erinnert verblüffend an den Kunstskandal, der sich um dem Maler und Fälscher Wolfgang Beltracchi entspann. Er fertigte Werke von Max Pechstein, Heinrich Campendonk und Fernand Léger an, die als verschollen gelten oder nur gerüchteweise existieren. Diese Geschichte wurde in Beltracchi: Die Kunst der Fälschung aufgearbeitet.
Made You Look ist auf Netflix verfügbar.
Beltracchi: Die Kunst der Fälschung ist auf Netflix verfügbar.
Dick Johnson ist tot
Kirsten Johnson ist Dokumentarfilmerin und weiß, dass ihr Vater Richard 'Dick' Johnson nicht mehr viel Zeit hat. Der Psychiater ist 86 Jahre alt, lebt mit schleichender Demenz und wird bald sterben. Um sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten, gehen beide die Möglichkeiten durch, wie es passieren könnte. Darunter ein Sturz von der Treppe, ein Unfall auf einer Baustelle oder eine Mikrowolle, die den alten Mann erschlägt. Aber ebenso planen beide seine Beerdigung – mitsamt einem Probeliegen im Sarg.
Dick Johnson ist tot ist eine bizarre Produktion, die Dokumentation und Satire vermengt, sich mit viel schwarzem Humor einem ernsten, bewegenden und eigentlich wenig amüsanten Thema nähert, das viele Menschen in ihrer Zukunft betreffen wird (oder schon jetzt tut). Die Doku ist heiter, traurig, manchmal sogar verstörend und weist unmissverständlich daraufhin, dass der Tod nun einmal einfach zum Leben dazu gehört, sich nicht verdrängen und wegwischen lässt – und auch seine witzige Seite hat.
Dick Johnson ist tot ist auf Netflix verfügbar.
Escape from Tomorrow
Jim White hat echt kein Glück. Er ist gerade in den Urlaub gegangen und bekommt plötzlich einen Anruf, dass er gefeuert ist. Aber er will sich die Zeit nicht vermiesen lassen und fährt mit seiner Familie nach Disney World. Dort angekommen, wird er zwischen all den Attraktionen von Visionen und Halluzinationen geplagt und kann Realität und Einbildung nicht mehr auseinander halten. Escape from Tomorrow klingt spannend, funktioniert als Film jedoch eher so mittelprächtig.
Was den Film von Randy Moore erst wirklich faszinierend und sehenswert macht, ist seine Entstehungsgeschichte. Denn gedreht wurde Escape from Tomorrow bereits 2013 in Disney World – und das ohne Erlaubnis des Micky-Maus-Konzerns. Das Team arbeitete daher mit Spiegelreflexkameras, plante Wochen voraus und lebte in steter Angst, erwischt zu werden. Als der Film erstmals aufgeführt wurde, schien es sicher, dass Disney klagen würde. Aber: das geschah nicht. Stattdessen ignorierte Disney den Film weitestgehend. Wohl weil schlicht unsicher war, auf Basis welcher Rechtsgrundlage und wie erfolgreich dagegen vorgegangen werden könnte.
Escape from Tomorrow ist auf Amazon Prime Video verfügbar.
Tokyo Rooftops
Tokio-Yokohama ist mit 38 Millionen Einwohnern die größte Metropolregion der Welt – und einer der am dichtest besiedelten Flecken der Erde. Platz ist rar. Daher werden die Dächer hier auf eine Weise genutzt, wie sonst nirgendwo. Auf ihnen entstehen Fußballplätze, Gärten, Diskotheken, Theater und vieles mehr. NHK World Japan erforscht in der Kurz-Doku Tokyo Rooftops dieses Phänomen.
Tokyo Rooftops ist auf NHK OnDemand verfügbar.
One Year Alone in Forest of Sweden
Erik Grankvist stammt aus Stockholm. Aber vor knapp einem Jahr machte er sich auf, um in der Wildnis von Schweden ein Blockhaus zu bauen. Und zwar genauso wie es seine Vorfahren es taten – mit traditionellen Werkzeugen und purer Muskelkraft. Auf einem Stück Land, das seit vielen Jahren im Familienbesitz ist, fällt Bäume mit einer Axt, schneidet sie mit einer Bügelsäge zu, entrindet sie per Hand und schichtet sie seit Monaten zu einem echten Haus auf. Dabei zuzuschauen ist faszinierend, beruhigend und … ja, auch einfach nett anzusehen.
The Skull of Mary Magdalene
Ist das der Schädel von Maria Magdalena? Hmm, wohl eher nicht. Aber dennoch wird er von der Gemeinde der Basilika Ste-Marie-Madeleine im französischen Saint-Maximin-la-Sainte-Baume als ebensolcher verehrt. Denn in der Gruft der Kirche soll sich das Grab der Anhängerin von Jesu Christi befinden, das ebenso Haare und Knochen von ihr enthalte. 2017 haben einige Forensiker und Anthropologen basierend auf Scans des Schädels versucht, das Gesicht der Frau zu rekonstruieren.
Why is Jakarta Sinking
Jakarta, die Hauptstadt von Indonesien, versinkt im Meer – und das bereits seit Jahrzehnten. In einigen Vierteln ist das Wasser pro Jahr um 15 bis 25 Zentimeter gestiegen. An der Küste werden mittlerweile Moscheen, Häuser und Straßen umschwemmt und rotten vor sich hin. Prognosen sagen, dass bis 2050 der Wohnraum von Millionen Menschen vom Wasser geschluckt werden könnte. Geschuldet ist das dem steigenden Meeresspiegel und dadurch auch dem Klimawandel. Aber nicht nur. Es gibt auch andere Gründe.
Der gewichtigste Grund ist sozio-ökonomischer Natur: Die Menschen haben nicht genug Wasser – sauberes Trinkwasser! Daher werden überall in der Stadt Brunnen gegraben, um an Grundwasser zu kommen. Die Industrie aber auch die Einwohner selbst buddeln und fördern das Wasser. Tausende von Litern werden pro Tag aus der Erde gepumpt – wodurch die Oberfläche absinkt. Die Einwohner von Jakarta sorgen also dafür, dass ihre Stadt langsam aber sicher unter den Meeresspiegel rutscht.
Hörtipps
Red Herring
Während des Kalten Krieges ging in Schweden die Angst um – die Angst vor sowjetischen U-Booten, die scheinbar immer wieder in den eigenen Küstengebieten umherzogen. Die Angst war nicht unberechtigt: 1981 war das U-Boot S-363 an der schwedischen Küste gestrandet. Seitdem lauschte Schweden in den eigenen Wasser – und hörte immer wieder Klänge, die mit den U-Booten in Verbindung gebracht wurden. Aber viele der aufgezeichneten „Sichtungen“ hatten offenbar einen ganz anderen Ursprung, wie Annie McEwen in einem so faszinierenden wie witzigen Feature bei Radio Lab erzählt.
Artikel-Lesetipps
479.000 Euro für ein Gif?!
Die Nyan Cat wurde für 479.000 Euro verkauft. Ihr wisst schon, die Gif-Animation einer fliegenden Katze mit Kirsch-Pop-Tart-Körper und Regenbogenschweif. Okay, es war nicht irgendeine Nyan Cat, sondern eine HD-Variante von ihrem Erfinder Chris Torres. Versteigert wurde sie auf einem Markt für digitale Kunst, bei dem mit Kryptowährung bezahlt wird – und bei dem der Käufer ein digitales Zertifikat – ein NFT – erhält, der die Eigentümerschaft bestätigt. Mehr ist es eigentlich auch nicht, das da erworben wird. Denn natürlich kann digitale Kunst leicht kopiert und vervielfältigt werden. Was der Besitzer erhält ist also lediglich das Gefühl, DAS ORIGINAL zu haben und damit angeben zu können, wie die New York Times richtig erklärt.
Reply All’s Implosion Reveals the Limits of One-Sided Internet Relationships
Es war eigentlich ein grandioser Auftakt. Der Gimlet-Podcast Reply All hat mit The Test Kitchen einen mehrteiligen Reportage-Podcast über die Zeitschrift Bon Appétit gestartet, die sich in den letzten Jahren als hippes Trend-Magazin rund ums Thema Essen neu erfunden hat. Aber gleichzeitig kämpfte sie mit Problemen – etwa mangelnder Diversität, Rassismus und einer insgesamt toxischen Arbeitsatmosphäre –, die durch einzelne Berichte an die Öffentlichkeit kamen. Die Redakteurin Sruthi Pinnamaneni sprach dafür mit Betroffenen und rekonstruierte die Situation.
Nach der zweite Folge des Podcast wendeten sich Kollegen von Sruthi und P.J. Vogt, der die Reportage-Reihe produziert hat, an die Öffentlichkeit. Sie warfen den beiden Podcastern vor, bei Gimlet genau die Atmosphäre geschaffen zu haben, die sie bei Bon Appétit kritisieren. Etwa sollen sie gegen die Bemühung einiger Angestellter gearbeitet haben, die eine Gewerkschaft gegründet haben. Beide haben sich von Gimlet verabschiedet. Mittlerweile hat sich Gimlet selbst mit einer Episode zu Wort gemeldet: The Test Kitchen endet nach zwei Episoden, die restlichen Folgen sollen nicht online gestellt werden. Vanity Fair hat die Geschichte recht gut zusammengefasst.
Children Of QAnon Believers Are Desperately Trying To Deradicalize Their Own Parents
Wer dachte, die Verschwörungsbewegung QAnon würde mit der Vereidigung von Joe Biden verschwinden, hat sich mal böse geschnitten. Trotz immer wieder nicht eingetretenen Prophezeiungen und Ankündigungen ist die Q-Bewegung immer noch da. Denn sie spinnt stetig neue Ideen und Narrative, um sich selbst, ihr Tun und ihr Anwachsen zu rechtfertigen, wie die Autoren von ABC The Signal beschreiben.
Menschen zu kennen, die Verschwörungstheorien oder QAnon anheim fallen, kann ziemlich belastend sein. Jesselyn Cook beschreibt bei der Huffington Post, wie eine gewisse Sam damit umgeht, dass ihre Eltern an eine bizarre Weltregierung von Kinderschändern glauben, die Blut trinken, um jung zu bleiben. Vor allem aber geht es darum, wie Sam ihre Eltern darauf angesprochen hat und versucht, sie aus dem Trump-Kult herauszuholen.
KI, Verantwortung und Wir
Auf 1E9 fahren wir gerade ein Themen-Special zu Künstlicher Intelligenz, Ethik und Verantwortung. Es geht darum, wieso wir KI-Superintelligenzen nicht fürchten müssen, wie weit wir noch von autonomen Killer-Robotern entfernt sind aber auch, wie sich vielleicht Künstliche Intelligenz in der Medizin verantwortungsbewusst einsetzen lässt. Oh, und ein paar KI-Filmtipps gibt’s von mir auch.
Wenn wir von Künstlicher Intelligenz sprechen, schwingt immer noch ein Hauch von Terminator mit. Dabei hat das, was heute als KI unseren Alltag erobert, wenig mit derart superintelligenten Maschinen zu tun. Ein weniger ehrfurchtsvoller Blick auf die Technologie könnte uns dabei helfen, verantwortungsvoller mit ihren Stärken und Schwächen umzugehen.
Komischer und cooler Kram aus dem Netz
Travelling Under the Social Influence
Neuseeland ist wunderschön und zieht zahlreiche Menschen an, die aber an den immer gleichen Orten, die immer gleichen Bilder knipsen. Das Social Observation Squad soll das verhindern. Naja, nicht wirklich. Ist alles Unfug. Aber der Joke trifft einen Nerv...
Notwehr gegen den Robo-Hund
Die Polizei von New York City – das NYPD – testet seit geraumer Zeit den Robo-Hund Spot. Die Polizei selbst nennt ihn DigiDog und nutzte ihn etwa schon, um bei einer Geiselnahme einige Pakete mit Fastfood an die Geiseln zu liefern. Kürzlich wurde DigiDog dann auch eingesetzt, um bei einer weiteren Geiselnahme in ein Haus einzudringen und zu prüfen, ob es für die Polizisten sicher ist. So ganz geheuert waren die Szenen, die vom Einsatz ins Netz gelangten, vielen Menschen nicht. Wohl auch zu Recht.
Denn Spot könnte leicht als Überwachungsinstrument missbraucht werden. Er könnte mit seinem Laserscanner durch Straßen, in Park patrouillieren oder auch ohne besonderen Anlass in Häuser eindringen – einen Greifarm um Türen zu öffnen, den gibt es bereits.Tatsächlich ließe sich, auch wenn Entwickler Boston Dynamics das nicht möchte, Spot auch deutlich aggressiver einsetzen.
Für ein Kunstprojekt wurde der Roboter etwa schon mit einen Paintball-Gewehr ausgerüstet. Der Schritt zu einem Taser oder einer tödlichen Schusswaffe ist da nicht weit. Ein Twitter-Nutzer hat vorsorglich schon einmal einige Tipps und Tricks zusammengetragen, wie man sich gegen einen übergriffigen Robo-Hund wehren könnte.
Diese Drohne fliegt wie eine Libelle
Einige russische Ingenieure haben eine bizarre Alternative zu Hubschraubern und Mulikopter-Fluggeräten entwickelt. Nämlich einen, nun, eine, ja, nennen wir es Drohne, die den Flügelschlag von Libellen imitiert und sich dadurch in die Luft hebt. Ganz neu ist die Idee nicht. Vor allem Ende des 19. Jahrhunderts forschten zahlreiche Erfinder an sogenannten Ornithoptern, die gleich einem Vogel mit starken Flügelschwüngen in die Luft steigen sollten. Im Gegensatz zu den Versuchen der frühen Bastler fliegt die Serenity getaufte Drohne tatsächlich.
Zu Letzt hatte der kanadische Erfinder und Luft- und Raumfahrtingenieur James DeLaurier vom Institute for Aerospace Studies an der University of Toronto an Ornithoptern geforscht. Sein größter Erfolg war The Great Flapper, ein Prototyp eines Flügelschlagflugzeugs, das am 8. Juli 2006 tatsächlich abhob. James DeLaurier hoffte auf Sponsoren- und Investorengelder, um die Idee weiterzuentwickeln. Aber das Interesse am Projekt war einfach nicht groß genug.
PUPARIA
Ich weiß nicht genau, was ich zu Puparia sagen soll, außer: Schaut es euch an! Es ist eine wundervolle Reihe von sonderbaren und anderweltlichen Animationsexperimenten des japanischen Künstlers Shingo Tamagawa. Über drei Jahre hat er in das Projekt gesteckt und damit ein audiovisuelles Erlebnis geschaffen, das sicher nicht unberührt zurücklässt. Das Making-of zu Puparia ist übrigens mindestens genauso sehenswert.
Der Champawat Tiger
Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts sorgte ein weiblicher Tiger in Nepal und Teilen von Indien für Angst und Schrecken. Die Champawat Tiger genannte Raubkatze soll für rund 436 Todesfälle verantwortlich sein – einige zeitgenössische Quellen und Legenden sprechen sogar von deutlich mehr. Der Spurenleser und Jäger Jim Corbett hat den Tiger dann 1907 erlegt.
ACTION BUTTON REVIEWS Tokimeki Memorial
Tokimeki Memorial ist eine Dating Simulation und erschien 1994 zunächst für PC-Engines' Super CD-Rom und später für PlayStation, Sega Saturn, Game Boy Color und andere. Es war nicht die erste DatingSim, aber der Titel, dem gerne zugeschrieben wird, das Genre populär gemacht zu haben. Und das obwohl Tokimeki Memorial ein Monstrum von Sozial-, Planungssystemen und statistischen Mechaniken ist. Und der YouTuber Action Button hat sich dadurch gekämpft und Tokimeki Memorial getestet – und arbeitet das Game in einem 6(!)-stündigen Video auf. Es ist fantastisch!
Evangelion Opening in Calculator
Tja, jemand spielt den Song A Cruel Angels Thesis aus Neon Genesis Evangelion auf Taschenrechnern. Was wollt ihr mehr?!
@deeptomcruise
Deepfakes werden immer besser – und immer schwieriger von der Realität zu unterscheiden. Das zeigt auf absurde Weise gerade der TikTok-Account @deeptomcruise. In dem imitiert ein Schauspieler Tom Cruise – und „trägt“ dabei ein Deepfake-Gesicht. Und zwar eines der besten Deepfake-Gesichter, die ich bislang gesehen habe. Weiß man nicht, worauf man achten muss, könnte man sich hier wirklich leicht täuschen lassen.